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Die Welt der Robotik ist im Wandel begriffen. Die Humanoiden kommen! Und das mit aller Macht. Hinter verschlossenen Türen arbeiten sie bereits in Pilotprojekten führender Automobilhersteller. Und: Sie werden ihren Siegeszug in unserem Alltag fortsetzen.

Im Bereich der menschenähnlichen Roboter vollziehen sich derzeit beeindruckende Entwicklungssprünge. Getrieben von einer immer leistungsfähigeren Künstlichen Intelligenz erreichen Humanoide eine bis vor kurzem nicht vorstellbare Performance. Mittlerweile zählt Sophia, die Androide von Hanson Robotics, zu den gern gesehenen Talkshowgästen. Dabei überrascht die erste digitale Staatsbürgerin der Vereinten Arabischen Emirate US-Starmoderator Jimmy Fallon immer wieder mit ihrem trockenen Humor. Ein Musterbeispiel für hochentwickelte KI.

Von der Showbühne in die Fabrik

Während sich mit Sophia vortrefflich über alle möglichen Themen philosophieren lässt, sind Humanoide wie Optimus, Atlas, Figure 1, Apollo und viele weitere von einem anderen Schlag. Sie sind geschaffen, um den Menschen von anstrengenden, langweiligen, schmutzigen oder gar gefährlichen Arbeiten zu entlasten. Und entgegen der weitverbreiteten Meinung, es handle sich bei dieser Technologie um Zukunftsvisionen, belegen führende Unternehmen wie amazon, Tesla, BMW oder Mercedes das Gegenteil.

Beispiel Amazon: In den US-warehouses setzt das Unternehmen auf Digit von Agility Robotics. Dieser schlanke, kompakte Humanoide ist für körperlich anstrengende Arbeiten wie die Handhabung und den Transport von Behältern nicht zuletzt wegen seiner langen Akkulaufzeit wie geschaffen.

Als Automobilhersteller kann sich Tesla über das Privileg freuen, auf eigenentwickelte Humanoide zurückgreifen zu können. Und mit dem Optimus der zweiten Generation können die Amerikaner auch noch einen hoch entwickelten Humanoiden zur Übernahme diverser Aufgaben in den eigenen Automobilwerken testen. Weiterer Tesla-Vorteil: Man verfügt über die entsprechend Batterie-Expertise aus dem BEV-Geschäft und kann Optimus so mit fortschrittlichster Akkutechnologie ausstatten.

Chat GPT als Kommunikationsplattform

Bei BMW im Werk South Carolina laufen ebenfalls Versuche mit einem hochperformanten Humanoiden namens Figure 1. Großer Vorteil dieses Bots: Er nutzt für seine Kommunikation Chat GPT und kann sich damit bereits heute flüssig mit Menschen unterhalten. Kommt Open AI wie bereits angekündigt Ende des Jahres mit Chat GPT next auf den Markt, wird das für Figure 1 einen weiteren Leistungssprung bedeuten.

Natürlich unternimmt auch Mercedes erste Gehversuche mit Humanoiden, beispielsweise im Werk Ungarn. Hier kommt mit Apollo von Apptronik ein 1,72 Meter großer Humanoide mit einem Körpergewicht von 72 kg zum Einsatz, der 25 kg tragen kann. Damit ist er bestens geeignet, um menschliche Mitarbeiter von körperlich schweren Tätigkeiten zu entlasten, die dann für höherwertige Aufgaben zur Verfügung stünden. Trotz der Fortschritte der jüngsten Vergangenheit gibt sich Jörg Burzer, Mitglied des Managementboards der Mercedes Benz Group AG, realistisch, was den Einsatz von Humanoiden in Automobilwerken betrifft: „Wir stehen noch ganz am Anfang dieser aufregenden technologischen Reise zur Gestaltung der Zukunft der Produktion mit Hilfe von Robotern und KI.“

China kommt: Humanoiden-Boom erwartet

Auf dieser Reise will die Großmacht China künftig eine Schlüsselrolle spielen und nach eigenen Aussagen in den nächsten drei Jahren zum Weltmarktführer im Bereich humanoider Roboter aufsteigen. Mittelfristig sollen fünf Prozent der Jobs in der Volksrepublik von Humanoiden übernommen werden. Das würde den Einsatz von rund 35 Millionen Einheiten entsprechen.

Auch bei Tesla rechnet man mit einer hohen Nachfrage, so Optimus in naher Zukunft zur Serienreife gelangt. Dazu Elon Musk auf X: „Es gibt kein wirkliches Limit für den Einsatz von Humanoiden, da die Wirtschaftsleistung von der Pro-Kopf-Produktivität bestimmt ist. Und diese lässt sich mit intelligenten humanoiden Robotern beliebig steigern.“ So könnte die Optimus-Population jährlich um bis zu einer Zehnerpotenz wachsen. Insider prognostizieren bereits für das Jahr 2027 ein Produktionsvolumen von 100.000 Tesla-Bots.

Bei diesen Stückzahlen sieht Elon Musk die Investition für Optimus in etwa bei der Hälfte der Kosten eines Autos. Legt man den Preis für ein Model 3 zugrunde, wäre ein Optimus für rund 25.000 Euro zu haben. Sollten die Investitionskosten für Humanoide tatsächlich in diese Regionen fallen, wird das deren Absatz zusätzlich beflügeln. Zumal technologisch nicht so hoch entwickelte China-Bots deutlich unter den Tesla-Konditionen zu haben sein werden.

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Die Hand macht den Unterschied

Je näher die Humanoiden dem menschlichen Vorbild kommen sollen, desto aufwendiger und teurer werden Entwicklung und Herstellung. Das zeigt sich nicht nur am Einsatz der KI und der dafür erforderlichen Rechenleistung, sondern auch an der Mechanik. Bestes Beispiel dafür: die Hand. Während einfache Humanoide mit Greifern aus dem Standardbaukasten auskommen, erreichen die Klassenbesten heute mit Fünffinger-Händen und 22 Freiheitsgraden die Beweglichkeit der menschlichen Hand.

Aber der Aufwand lohnt, denn hochentwickelte Humanoide erreichen ein bis dato nie gekanntes Maß an Flexibilität. Im Vergleich dazu ist ein klassischer Industrieroboter als unflexible Sondermaschine einzustufen. Der Humanoide der Zukunft ist durch KI lernfähig, vergisst das Erlernte nie wieder, lässt sich für jede Aufgabe qualifizieren und: Er ist beweglicher als der Mensch.

Beweglicher als der Mensch

Wie beweglich, beweist der neue Atlas von Boston Dynamics. Das Unternehmen, das als der Pionier im Bereich humanoider Roboter gilt, hat eine neue elektrische Version seines Atlas-Roboters vorgestellt, die das ältere hydraulische Modell durch ein leiseres, flüssigeres Bewegungssystem ersetzt. Dazu Robert Playter, CEO Boston Dynamics: „Die elektrische Version von Atlas ist stärker, geschickter und wendiger. Atlas kann sich auf eine Weise bewegen, die menschliche Fähigkeiten weit übersteigt.“

Den Beweis dafür liefert das Unternehmen mit einem Demonstrationsvideo, das Atlas beim Aufstehen aus liegender Position zeigt. Kein Mensch kann sich so leichtfüßig erheben, zu eingeschränkt ist die Beweglichkeit menschlicher Gelenke. Torso oder Kopf um 360 Grad zu drehen, bleibt eben Humanoiden vorbehalten.

Und noch etwas hat Boston Dynamics beim neuen Atlas richtig gemacht: Der Humanoide kommt im Vergleich zum martialischen Vorgänger mit freundlicherem Aussehen daher. Gut so, denn: Die Akzeptanz der Humanoiden im Alltag wird entscheidend davon abhängen, wie sie der Mensch wahrnimmt. Viele Androide wirken furchteinflößend. Sehen sie den Menschen zu ähnlich, wird das als unangenehm empfunden. Das französische Unternehmen Enchanted Tools zeigt, wie es anders geht: Ihr Roboter Miroki überzeugt mit dem ansprechenden Design eines Fabelwesens.

Fachkräftemangel war gestern

Der derzeitige Entwicklungsstand im Bereich Humanoider macht eines deutlich: Ihre Zeit für industrielle Einsätze steht direkt bevor. Hier entsteht ein gewaltiger Markt. Humanoide werden dank KI in naher Zukunft in der Lage sein, einen Großteil der Aufgaben zu übernehmen, die bislang menschlichen Arbeitskräften vorbehalten waren.

Diese Entwicklung wird auch Auswirkungen auf die Industrierobotik haben. Die Humanoiden sind unendlich flexibel, müssen nicht aufwendig programmiert werden, sind einfach für alle möglichen Aufgabe zu qualifizieren und die Investitionskosten bleiben überschaubar. Natürlich wird es eine ganze Reihe von Aufgaben geben, bei denen Industrieroboter nicht zu substituieren sind, aber: Die Schnittmenge an Applikationen, bei der Humanoide in Konkurrenz zu Industrierobotern treten, ist nicht zu unterschätzen. Handhabungsaufgaben, Montageapplikationen, das Be- und Entladen von Werkzeugmaschinen – vieles ist denkbar.

Ob und wie die Hersteller aus dem Bereich der Industrierobotik auf die erwachsende Konkurrenz reagieren, wird sich auf der Weltleitmesse automatica, die vom 24. bis 27. Juni 2025 auf dem Münchner Messegelände stattfindet, zeigen. Und man darf gespannt sein, ob neben 4NE-1 von Neura Robotics, der bereits 2023 auf der automatica debütierte, weitere Humanoide den Weg nach München finden.

Text: Ralf Högel für Messe München