Die autonome Produktion der Zukunft konfiguriert und koordiniert ihre Produktionszellen selbst. Vorreiter setzen Ausprägungen der Smart Factory bereits um. Der Mensch bleibt aber auch in der Smart Factory unersetzlich.
Durch die Sensorenfabrik von Sick in Freiburg-Hochdorf kurven fahrerlose Transportsysteme zwischen automatisierten Produktionsmodulen sowie Arbeitsplätzen, die von Menschen oder kooperierenden Mensch-Roboter-Teams bedient werden. „Die Module sind Zellen, in denen der Roboter in einem festen Arbeitsumfeld eine definierte Aufgabe erfüllt, etwa die Endmontage von verschiedenen Sensorkomponenten“, erklärt Joachim Schultis, Head of Operations Photoelectric Sensors & Fibers bei der Sick AG. „Die Module sind komplett rüstfrei, Format- und Materialwechsel werden durch das im Hintergrund arbeitende Steuerungssystem durchgeführt.“
Auf dem Weg zur Smart Factory hat Sick die klassische Linienfertigung in eine vernetzte Produktionsmatrix überführt. Maschinen, Werkzeuge und Transportmittel sind mit Sensoren und Aktoren – also Augen und Ohren, Händen und Füßen – ausgestattet und über das Internet der Dinge vernetzt. Was in einem solchen Smart-Factory-Szenario an Prozess- und Sensordaten anfällt, wertet die Industrial Analytics aus. Dazu zählen Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) wie das maschinelle Lernen. Die Daten werden zur Anlagensteuerung genutzt, geben Auskunft über die Effizienz der laufenden Prozesse und Hinweise für die Fabrikoptimierung. Das Wissen um Maschinenzustände etwa ermöglicht eine vorausschauende Wartung.
Sick ist nicht der einzige Smart-Factory-Vorreiter in der Industrie: Noch weitere Unternehmen sind aus der Linienfertigung ausgeschert, um auf Typenvielfalt, häufige Modellwechsel und Stückzahlschwankungen zu reagieren. Beispiel Kuka: Herzstück der Matrix-Produktion des Anlagen- und Maschinenbauers in Augsburg ist die Software Smartproduction Control. Sie steuert KI-basiert flexible Prozesse, Autonomous Guided Vehicles (AGVs) rüsten auftragsabhängig die standardisierten Produktionszellen um und beliefern sie mit Material. Die Dürr Systems AG liefert sogar ihren Prozess – Lackieranlagen – als modulares Konzept. Die lineare Anlagenkonfiguration ist in Boxen aufgelöst, damit Automobilbauer variable Stückzahlen und Karosserie-Varianten durchschleusen können. Zudem sind Aufträge für neue Modelle einfacher integrierbar und die Kapazität ist leichter zu skalieren.
Für Sick haben sich die Investitionen in die smarte 4.0 Now Factory durchaus gelohnt. „Zu den anfänglich fünf Produktfamilien, die hier gefertigt werden, sind zwei neue Produktfamilien hinzugekommen. Darüber hinaus konnte die Zahl der industrialisierten Varianten innerhalb der Produktfamilie signifikant gesteigert werden“, spricht Sick-Manager Joachim Schultis den ersten Vorteil der Investition an: Flexibel lassen sich in der Smart Factory auch Kundenwünsche nach kleinen Stückzahlen erfüllen, die durch den Trend zur Individualisierung in der Industrie immer häufiger werden. Zudem priorisiert die Steuerungssoftware die Aufträge, die Fertigungsschritte sind für jedes Produkt optimiert, die automatisierte Qualitätskontrolle identifiziert fehlerbehaftete Module und Produktmängel verraten über die Fertigungshistorie die Ursache.
Die Vision einer voll automatisierten, menschenleeren Smart Factory, in der Maschinen sich selbst kontrollieren und optimieren, hält der Produktionstechnik- und KI-Experte Professor Martin Ruskowski, Leiter der Technologieinitiative Smartfactory KL, aber für eine „verquere Zielvorstellung“. Maschinen können zwar dank Automatisierungstechnik sich häufig wiederholende Tätigkeiten übernehmen und KI-Technologien können Fleißarbeit mit Daten übernehmen – etwa große Datenmengen auswerten. „KI hat aber nichts mit wirklicher Intelligenz und Kreativität zu tun. Sie wird niemals eine kreative Problemlösung vorschlagen. Für diese Aufgabe ist der Mensch unersetzlich“, betont Ruskowski.
Daher geht es in der Smart Factory zunächst vor allem darum, Assistenzsysteme zur Unterstützung der Automatisierungs- und Produktionssysteme einzuführen, denn das rentiert sich schnell. So sind etwa in der Blechbearbeitung Umrüstung, Montage und Ablaufplanung manuell aufwendig. Auf eine Stunde Bearbeitungszeit können schnell vier Stunden indirekte Tätigkeiten kommen: Es müssen Materialien und Werkzeuge gesucht werden, es gibt lange Wege bei der Materialvorbereitung, Fahrzeuge für die Intralogistik müssen parat stehen.
Letztlich ist der Weg zur autonomen Fabrik vergleichbar mit dem Weg zum autonomen Fahren: Bis Autos wirklich einmal ganz autonom ohne Fahrer auch in belebten Innenstädten sicher fahren können, dürfte noch einige Zeit vergehen. Zunächst halten Assistenzsysteme ins Fahrzeug Einzug (automatische Abstandsregelung, Spurhalteassistent) und dann stehen erstmal die Entwicklungsstufen teilautomatisiertes, hochautomatisiertes und vollautomatisiertes Fahren an, bis irgendwann einmal die Endstufe des autonomen Fahrens erreicht ist.
Welches Autonomie-Level einer Produktion technisch und finanziell zuträglich ist, muss ohnehin jedes Unternehmen selbst definieren – also auch den Weg zur Smart Factory: Sei es der Aufbau einer neuen Fabrik, die Integration fortschrittlicher Anlagen in die bestehende Fertigung oder die Prozessoptimierung. „Wer neue digitale Wege in der Produktion gehen und Industrie 4.0 Prinzipien umsetzen will, der muss nicht gleich eine neue Produktion aufbauen“, verweist Joachim Schultis auf die sensorbasierten Lösungen von Sick, die Daten aus den Sensoren sichtbar machen und Mehrwert für die existierende Fabrik generieren. „So können Unternehmen statistische Daten sammeln, analysieren und den Schritt in die Industrie 4.0 gehen.“
Auch Einzelmaßnahmen der smarten Systemoptimierung machen den Automationseinsteiger zum Aufsteiger. So findet das Analysetool „Darwin“ der Plus10 GmbH, einem Start-up des Fraunhofer-Instituts IPA, über selbstlernende Algorithmen Defekte in schnell taktenden Fertigungsanlagen und führt automatisiert ein Maschinen-Benchmarking durch. Automobil- und Pharmaunternehmen haben so Zykluszeiten um bis zu 18 Prozent reduziert.
Doch in welchen Stufen verläuft der Weg zur autonomen Produktion? Die Forscher der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) haben in der Studie „Industriearbeitsplatz 2025“ den Übergang von menschlicher zu maschineller Aufgabenübernahme in sechs Stufen gegliedert (siehe Kasten). Je höher der Automatisierungsgrad, desto mehr nimmt die Produktionsanlage autonom Anpassungen vor, um Störgrößen zu kompensieren wie Maschinenungenauigkeiten, Schwankungen bei Materialeigenschaften, Maschinen- oder Werkzeugverschleiß.
Angelehnt am Stufenmodell des automatisierten Fahrens hat die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) ein Stufenmodell für die Automatisierung in der industriellen Produktion entwickelt. Damit lässt sich der aktuelle Entwicklungsstand eines Unternehmens auf dem Weg zur autonomen Produktion bewerten
1. Stufe 0 (nur Bediener): Das Bedienpersonal passt die Produktionsanlage an alle auftretenden Störeinflüsse an.
2. Stufe 1 (assistiert): Ungenauigkeiten in der Produktionsanlage werden durch geregelte Antriebe reduziert. Maschinenbediener passen die Produktionsparameter an die vorgegebenen Produktspezifikationen an.
3. Stufe 2 (grundlegend automatisiert): Die Produktionsanlage regelt einzelne ausgewählte Prozessparameter entsprechend der Vorgaben selbst. Maschinenbediener/-innen passen die übrigen Produktionsparameter an die vorgegebenen Produktspezifikationen an.
4. Stufe 3 (grundlegend automatisiert): Die Produktionsanlage regelt einzelne ausgewählte Produkteigenschaften selbsttätig. Dafür erforderliche Anpassungen an geänderte Produktionsbedingungen erfolgen autonom.
5. Stufe 4 (hochautomatisiert): Die Produktionsanlage regelt alle relevanten Produkteigenschaften selbsttätig. Sie kann alle Abweichungen zu definierten Eigenschaften eliminieren und die eigenen Systemgrenzen überwachen.
6. Stufe 5 (vollautomatisiert): Die Produktionsanlage regelt alle relevanten Produkteigenschaften, erkennt und behebt explizit und implizit vorgegebene Fehlerbilder. Sie erkennt und erweitert ihre eigenen Grenzen.
Über sechs Stufen führt übrigens auch der Industrie-4.0-Maturity-Index des FIR e. V. an der RWTH Aachen, der den Entwicklungspfad hin zur Smart Factory beschreibt. Hier haben die Stufen folgende Bezeichnung bzw. Bedeutung:
1. Computerisierung der Produktion
2. Connectivity (Vernetzung der Produktionsanlagen)
3. Visibility („Sehen durch den Einsatz von Sensoren“): Was passiert in meiner Fertigung?
4. Transparenz („Verstehen durch die Analyse der Massendaten“): Warum passiert es?
5. Vorhersehbarkeit (“Vorbereitet sein durch Prognosefähigkeit): Was wird passieren?
6. Adaptierbarkeit (Selbstoptimierend durch automatisches Handeln und Selbstoptimierung): Wie kann autonom reagiert werden?
Wo gegenwärtig die Grenze zur praxisrelevanten Automatisierung verläuft, verrät Stufe vier des WGP-Modells. Diese ist auch Gegenstand der aktuellen Forschung zur Smart Factory: Die Produktionsanlage regelt alle relevanten Produkteigenschaften selbsttätig, eliminiert Abweichungen und überwacht die eigenen Systemgrenzen. Unabdingbar in der autonomen Produktion bleibt trotzdem der Mensch: Er überwacht alle anderen Produkteigenschaften und greift bei Überschreitung von Systemfähigkeiten korrigierend ein.